Was heißt NS-Medizin? Eine Bilanz der neueren historischen Forschung

Was heißt NS-Medizin? Eine Bilanz der neueren historischen Forschung

Mit Dr. Richard Kühl

Am 06.11 19:00 Uhr

Rubenowstraße 1 - HS 1

Obwohl kaum eine Zeitspanne medizinhistorisch intensiver erforscht worden ist als die Zeit des Nationalsozialismus, prägen medizinische (Selbst-)Entlastungsnarrative, wie sie im Umfeld des Nürnberger Ärzteprozesses 1946/47 aufkamen, nach wie vor die das Bild, das sich eine breite Öffentlichkeit in Deutschland von der Rolle der Medizin im „Dritten Reich“ macht. Das liegt vor allem daran, dass sich apologetische Erzählmuster im Verlauf der ersten drei Nachkriegsjahrzehnte sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR auf wirkmächtige Weise zu kohärenten Erzählungen ausformten. Doch die NS-Medizinverbrechen waren nicht, wie das bequeme Bild nahelegte, das Werk einiger weniger radikalisierter SSÄrzt*innen, deren methodisches Rüstzeug überdies mit medizinischer Wissenschaft nichts zu tun gehabt hätte. Und auch das eindimensionale, Zustimmung und selbstinitiative Beteiligung ausblendende Bild von einer „instrumentalisierten“ Medizin gehört in den Bereich der Nachkriegsmythen. Der Vortrag rekapituliert wichtige Stationen der historiographischen Diskussion seit den 1980er Jahren und erklärt, weshalb die neuere Forschung die entgrenzte Medizin der NS-Zeit als „radikale Manifestationen“ (V. Roelcke) inhumaner Potentiale und Ideen einordnet, die auch und auf zentralen Feldern sogar vorwiegend aus der modernen Medizin selbst kamen. Behandelt werden die medizinische Forschungssteuerung des Regimes und NS-Medizinverbrechenskomplexe, insbesondere der "Euthanasie"- Massenmord.

Dr. Richard Kühl ist Medizin- und Zeithistoriker. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Universität Düsseldorf und Lehrbeauftragter am Seminar für Zeitgeschichte der Universität Tübingen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählt die Geschichte der Medizin in der Moderne. Zuletzt erschien von ihm: „Der Große Krieg der Triebe. Die deutsche Sexualwissenschaft und der Erste Weltkrieg“ (Bielefeld 2022).


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